Samstag, Mai 05, 2007

konzert: rickie lee jones, 03.05.07

die oma ist nicht mehr ganz so fit, deshalb nehmen wir das bettzeug immer mit, wenn wir sie in berlin besuchen. am morgen unserer abfahrt schulterte ich den kram und stieg in den fahrstuhl, um es im auto abzulegen. im fünften stock stieß zur gemeinschaft der olle piefke, der der oma gern ein ohr abkaut. seine lakonische bemerkung mit blick auf die kissen und decken: "jetzt jeht's in' wald, wa?!" und grinste aus seinem gespaltenen gesicht, während die frisch gekappte bierpulle von einer hand in die andere wechselte. ich lachte zurück, denn ich war trotz schlechten schlafs gut gelaunt. einen tag zuvor hatte ich rickie lee jones erlebt, ein herzenswunsch ging in erfüllung.
die passionskirche in berlin kreuzberg bot sich angesichts der aktuellen thematik des neuen albums von rickie lee jones als spielstätte geradezu an. unverhohlene religiösität in ansprechendem rahmen. leider war der blick auf den marheinekeplatz durch diverse buden verstellt und das warten in der schlange vor beginn der veranstaltung musste sich auf private unterhaltung und das belauschen der umstehenden beschränken. einzige prominenz unter den wartenden war ein mir namentlich nicht bekannter schauspieler. wie so oft auch seine kollegen, betrat er allein die öffentlichkeit. haben prominente keine freunde? also wartete er still wie wir auf einlaß. dieser verzögerte sich um eine stunde, die das brave personal der passionskirche versuchte zu überbrücken, in dem es käsestangen und brezen (heimat!) unter den maulenden massen verkaufte. der hunger war indes nicht groß, dafür die sehnsucht nach der künstlerin. diese hätte, so erfuhr man aus den gesprächen, noch - onlinestatus vom selben abend - gut neunzig karten absetzen können. tatsächlich war das gotteshaus nicht ausverkauft, bei lediglich zwei konzerten in deutschland eine schmach. dafür waren die anwesenden gebannt. in den gesichtern konnte man die aufregung und vorfreude lesen. und ich als mittdreißiger durfte mich zu den jüngsten zählen. gerade mal acht war ich, als rickie lee jones ihr erstes album herausbrachte. wir drückten uns in die betbank, suchten die beste sitzposition, in der man einige stunden harren könne und ließen uns allmählich von der extraordinären stimmung der kirche einnehmen. der altar zum greifen nahe, über sechs bänke hinweg konnte man die details seiner intarsien gut erkennen, das mittelgroße kreuz von hinten schwach beleuchtet, unterstrich besonders die note des abends. räucherstäbchen wurden entzündet, das gemurmel im auditorium schwoll an, unruhe kam mit jeder neuen minute des wartens auf. einer der roadies trat ans mikro, um sich für die verspätung zu entschuldigen. mit erstaunlich gutem deutsch machte der amerikaner die technik als störenfried dingfest. kurze zeit später, das licht wurde gedimmt, die schwere einer düsteren kirche nahm uns nunmehr gefangen, trat sie auf. die tür neben dem altar öffnete sich und rickie lee jones, gefolgt von ihren musikern, trat auf. gewandet in ein kurzes schwarzes kleid, darunter eine weiße bluse, erinnerte sie an ein schulmädchen. die langen blonden haare unterstrichen die frische und das forsche ihrer ankunft. nur die mäßige leibesfülle und das harsche, faltengeschlagene gesicht wiesen auf das alter hin. nun saß ich ihr endlich gegenüber. ein moment, der sehnlichst erwartet war, seit fast zwanzig jahren. rickie schaute kurz ins gewölbe, dann ins publikum und drückt ihre freude über das hiersein aus, ihre liebe zu berlin. in den ersten beiden songs (als ihre stimme das erste mal erklang, standen mir meine haare unvermittelt zu berge) zeigt sie sofort ihre stärken, ist mehr künstlerin denn musikerin und erzählt ihre geschichten umsichtig, drückt sich auf den seitenstraßen umher, um wieder zum hauptstrang zurück zu kehren und alsbald erneut abzudriften. der monitor schnarrt und rickie beantwortet es lässig mit dem gedanken, dass es gott ähnlich gehen müsse. auch er habe ein monitorproblem. so muss die songwriterin das gesamte konzert über mit soundproblemen kämpfen, dem monitor, der sich nie gänzlich in den griff bekommen ließ, dem aussteuern einzelner instrumente. manches lied wurde um die eine oder andere textzeite ergänzt, die sich dann direkt an den tontechniker wandte. doch rickie lee jones ist eine alte kämpin ihrer zunft, die allen unwägbarkeiten trotzt und sich nicht die butter vom brot nehmen lässt. in van morrison manier dirigiert sie ihre band, wünscht mehr einsatz, lautstärke oder dämpft ihre zum teil jungen mitstreiter ab. von diesen ist vor allem der basser hervorzuheben, der sehr feine läufe spielte, den bass zuweilen mit einem bogen bearbeitete und kreativ seinen part ausmalte. ein manischer drummer, ein angemessen selbstverliebter gitarrist und ein backgroundsänger mit diversen instrumentenparts ergänzten.
rickie gebährdet sich gefühlig, unaufgeregt, mit leisen gesten, arbeitet sich durch das programm, ergriffenheit ist immer mal spürbar, auch bei den älteren titeln, die vom publikum begeistert begrüßt werden: "coolsville", "weasel" fahren treffer ein. jones freut sich über jeden jauchzer, jeden pfiff, jeden festen klatscher. auch die songs des neuen albums sind den beiwohnenden wohlbekannt, es dürfen "falling up", "nobody knows my name", "tried to be a man" begrüßt werden. erwähnenswert das sacht vorgetragene "ghostyhead" vom gleichnamigen sperrigen album aus 1997. aber nicht nur die leisen momente liegen der künstlerin, rickie lee jones ist in allen tonlagen zuhause, kann jeglicher emotion heimat geben, koloriert, ornamentiert und manifestiert damit ihren status. ich liebe das rauchige, leicht verruchte, das beanspruchte, sich nie schonende ihrer stimme. jede beichte nehme ich ihr ab im wissen, dass sie wieder fehltreten wird. rickie lee jones lebt, mehr wollte ich nicht wissen.
eine zugabe gönnt die dame uns, dann verschwindet sie hinter dem altar. was bleibt? der wunsch nach mehr. vor allem nach mehr bewegung, denn die bänke schränkten sehr ein, nach mehr intimität, nach mehr songs, nach mehr rickie lee jones.

2 Kommentare:

Oliver Peel hat gesagt…

Ein sehr schöner, persönlich-intimer Konzertbericht!
Gefällt mir sehr! Man merkt Dir die Begeisterung für die Frau an, es ist die Begeisterung eines "Mitdreissigers" wie Du so schön sagt, der anders schwärmt, als ein siebzehjähriges Girlie, wenn sie zu Mando Diao geht.
Auch jüngere Fans wären Rickie Lee zu wünschen, vielleicht hat sie ja auch neue Anhänger mit dem neuen Album gewonnen, die ihr Frühwerk altersbedingt noch nicht kannten.
Schön auch, dass Du nicht enttäuscht wurdest, das kann bei lebenden Legenden ja durchaus passieren.
Aus diesem Grunde bin ich auch nie zu Bob Dylan gegangen...

E. hat gesagt…

ach, zu dylan, reed und young habe ich mich auch getraut?! aber du hast recht, kann gehörig in die hose gehen.