Mittwoch, Oktober 28, 2009

evangelista - prince of truth (2009)

eine form von wochenenderholung. im angeschlagenen, hölzernen bürostuhl, die füsse auf dem schreibtisch lagernd, mehr liegend als sitzend musik hören. es läuft "prince of truth" von evangelista. dabei in sam shepards "rolling thunder" blättern, stellenweise lesend. eine gespenstisch gut funktionierende verbindung, eine symbiose aus fleckenteppich und größflächiger bepinselung. die schemenhaften beschreibungen des die comeback tournee dylans begleitenden schauspielers und schriftstellers ornamentieren den düsteren reigen kakophonischer gothiktrümpfe. die wegelagerei des dylantrupps, das bekämpfen von langeweile abseits der konzerte, die auseinandersetzungen um individualiät und persönliche freiräume erhalten untermalung durch den griffig staunenswerten stoff der band um carla bozulich. im hexentanz umrunden perkussive elemente und ausdauernde saiteninstrumente einander, wie von tauen gehalten, am langen band der charismatischen sängerin. in deren textliche erprobungen fliessen die beobachtungen shepards, dieser mal oberflächlich amüsiert (dylan und co. agieren gekünstelt vor der kamera), mal aufgeregt (dylans frau soll kommen, wie wird sich die konkurrenzsituation zu joni mitchell und joan baez darstellen?), mal witzig (dylan kauft eine maske seiner selbst und tritt mit ihr auf, das publikum ist sich auch dann nicht sicher, wen es vor sich hat, als der meister das teil ablegen muss, um mundharmonika zu spielen), mal übertrieben ruppig (ich bin so geil, vor mir wäre selbst ein loch in der luft nicht sicher).
eine koexistenz, die unterschiedlicher nicht besetzt sein könnte. dort die wankelmütige karawane, hier die unerschrockene erprobung detaillierten stillstands. "gospel noise" nennt bozulich das unterfangen aus konstruktion und dekonstruktion, das mit konzentrierter besessenheit und aufopfernder dynamik nach kontextueller versöhnung sucht.
schöpferisch ist carla bozulich sicher an einem höhepunkt angelangt. die stationen the geraldine fibbers, ethyl meatplow oder scarnella wollten genommen werden, um carlas ausdruck zu schärfen, theatralische symbolik abzulegen, um das wettern und flüstern so zu üben, dass es, jeglicher selbstreferenz abhold, alltagstauglichkeit beweist. unterstützer dabei die herausragende mannschaft um tara barnes, dominic cramp und nels cline: shahzad ismaily, ches smith, jessica catron, devin hoff, thierry amar, nadia moss und jonah fortune.
"am i here to watch over you/am i here to destroy you/am i here just to think it matters what i do", heißt es im opener "the slayer", carla sticht in ihrer eigenbrötlerischen art die worte zwischen die schneidenden gitarrenspuren und den haufen marodisierender geräuschemacher. hupe, säge, gongs und bass fahren auch durch die parade, als carla in "tremble dragonfly" mit ihrem schutzbedürftigen organ singend formuliert: "tremble dragonfly. tremble on. on. touch me with your wing. wicked flying thing" und dominante streicherarrangements oberhand gewinnen wollen. doch: "i will let you win. dusty wing span moving so fast. still it stained itself like a church. glass dipped in dirty sound never touch the ground. everybody wants to pin you down".
nichts ist unerlässlicher als sich zu bewegen und herr seiner selbst zu sein. die wahrheit zu suchen, ist eine aufgabe, die sich nicht losgelöst von der tatsache betrachten lässt, dass es keine gibt, die sich einfach nur auflesen ließe. carla ist radikaler denn je. und überrascht bei aller gezielten dissonanz mit harmonie und einklängen, die sich wie in "i lay there in front of me covered in ice" an gitarrensentenzen und einer von cramp weissagenden orgel genüsslich schuppern. "you are a jaguar" katapultiert aggression und nimmt atem, spitzfeuriger kannst du die saiten nicht schreien! weitere vier tracks später steht die gewissheit auf festem grund, dass der vorzüglich besetzten band inklusive ihrer außergewöhnlichen frontfrau ein genrefernes bzw. -übergreifendes und zugleich radikal maßstäbe setzendes werk aus noise, improvisation, post-industrial, gothic, experiment und musique concrete gelungen ist.
"rolling thunder" endet in einer szene, die sich aus dem stoned-sein der protagonisten speist, dylan stört aggressiv die premiere eines shepard stückes. "die kritiker wissen nicht, was sie davon halten sollen. ist ihnen etwas entgangen? wer war der maskierte, der eben im roten mantel mit gauchohut brüllend vorbeigesprengt ist? ist das stück schon zu ende?"
"prince of truth" erschien anfang oktober auf constellation.
evangelista - the slayer

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